4. Morphologische Synonyme in der Verbalflexion

Auch die Kategorien der flektierbaren Wortarten erweisen sich in mehr oder weniger großem Umfang als potentielle Stilelemente⁴⁰. Bei den Verben sind es das Genus, das Tempus und der Modus, die unter diesem Gesichtspunkt Beachtung verdienen.

Genera verbi und Synonyme des Passivs

Bei allen passivfähigen Verben sind Aktiv und Passiv stilistische Varianten, welche die Darstellung eines Sachverhalts aus unterschiedlichen Blickrichtungen gestatten.

1) Mit dem Passiv sind sinnverwandt das Aktiv mit man:

Figuren werden unterschiedlich bewertet.

Figuren bewertet man unterschiedlich;

2) weitere Synonyme des Passivs sind "Streckverben" aus Verbalsubstantiv +Verb, die unterschiedliche Phasen des Geschehensablaufs nuancieren können:

• in Vergessenheit geraten

• zur Verteilung gelangen/kommen

• zum Einsatz kommen

• Verbreitung finden

• Achtung genießen

• Förderung erfahren

• Schaden erleiden

• Unter Kontrolle stehen

• Die Unterweisung erfolgt etc.

3) Mit einer zusätzlichen modalen Bedeutungskomponente sind:

• Adjektive auf – bar, die von transitiven Verben abgeleitet sind,

• die Fügung sein +zu +Infinitiv sowie

• Bedürfen/bedürftig/fähig/wert +Genitiv eines Verbalsubstantivs

sind als weitere Synonyme des Passivs verbunden.

z. B.

Der kranke Fuß ist zu schonen

Der kranke Fuß ist der Schonung bedürftig

Der kranke Fuß muss geschont werden

Der verlorene Gegenstand ist nicht zu finden.

Der verlorene Gegenstand ist nicht auffindbar

Der verlorene Gegenstand kann nicht gefunden werden.

Zur Synonymie der Tempora

Auch die Tempora⁴¹ können als Stilelemente genutzt werden. Vergangenes Geschehen kann

• im Präteritum,

• im historischen (oder dramatischen ) Präsens oder

• im Perfekt

dargestellt werden.

z.B. Ramsch kommt, ist überrascht und plaudert. Kein Wort von Angrett. Sie sitzt ganz hohe Frau und nicht (E. Strittmatter. Ole Binnekopp)

(E. Strittmatter gestaltet die Handlung im historischen Präsens und benutzt das Präteritum für die Rückblende in weiter zurückliegende Zeiten)

Zur Synonymie im Bereich der Modi

Im Modus als Verbkategorie steht dem Sprachbenutzer ein Ausdrucksmittel zur Verfügung "eine subjektive, nach Wille und Vorstellung orientierte Stellungnahme zum Sachverhalt zu geben und seine Ansicht über Realität oder Realisierung… des geschilderten Geschehens oder Seins kundzutun⁴².

Die Entscheidung für den Indikativ oder für den Konjunktiv kann z. B. davon abhängen, ob der Sprecher die direkte (wörtliche) oder indirekte Rede wählt.

Formvarianten des Verbs

Abschließend sei noch auf eine Reihe von Konjugationsformen hingewiesen, die auf Grund ihres häufigeren oder selteneren Gebrauchs unterschiedliche Stilschichten nuancieren z. B. das archaisierende, hier ironisch gebrauchte hub…an neben normalsprachlichen hob…an:

…alle Zechenden…blickten verwundert auf den Mann…, der nun zu sprechen anhob (F. Fühmann)

Wenn sie einen Schüler beurteilen wollen, "nicht wahr", hub der Mann an (H. Weber).

An weiteren lautlich kontrastierenden Formvarianten sind zu nennen:

Wurde – ward

Dünkte – deuchte

Gebärt – gebiert

Triefte – trifft

Wendete – wandte

Buck –backte

Haute – hieb

Gewönne – gewänne

Hülfe – hälfe

Stürbe – stärbe

Stünde – stände

Begönne – begänne